Alternativtest

 

 

 

 

Die Arbeiten im Einzelnen: (von links nach rechts und von oben nach unten)
„Someday my prince will come / oder: Trompete“, 96 x 43 cm, Mischtechnik auf Acryl, 2011
„Hitze Energie Schönheit /Pferd in Andalusien“ (Diptychon), 240 x 120 cm, Mischtechnik auf Acryl, 2018
„Cry me a river/ Flügelhorn“, 160 x 130 cm, Soundkonsole, Mischtechnik auf Acryl, Musikeinspielung: Ralf Hoppe, John Lahan, Norman Schlüter
„Wünschen, oder: Die Hütte im Wald“, 160 x 130 cm, LED, Mischtechnik auf Acryl, 2017
„Someday my prince will come 2/ oder: Tee ist fertig“, 57 x 57 cm, Mischtechnik auf Acryl, 2015
„Erfinden, oder die große Espressokanne“, 100 x 100 cm, Soundkonsole, Mischtechnik auf Acryl, Musikeinspielung: Ralf Hoppe, Hajo Kiener

Zeichnungen

Ein Teil meiner künstlerischen Arbeit sind Zeichnungen, meist Mischtechnik auf Acryl, häufig Mittel- und Großformat, von 80 x 80 cm bis zu 200 x 240 cm, ausgeführt mit Geduld und einer fast akademischen Sorgfalt und Schraffurtechnik. Die Acrylplatte als Zeichengrund ist, im Vergleich zu Papier oder Holz, kühler und industrieller in der Anmutung; für mich ein reizvoller Gegensatz zu der gewissermaßen unaufgeregt-soliden Zeichentechnik, eine Herausforderung, den Untergrund aufzuladen mit Spuren und und der liebevollen, versonnenen oder auch gelegentlich nervös-wendigen Sinnlichkeit des Zeichenstifts. Die Permanentfarbe auf der Acrylplatte ist lichtecht und stabil.

Soviel zur Technik, zum Wie. Bleibt die Frage nach dem Warum. Die schwieriger zu beantworten ist.

Warum also zeichne ich? Wozu eine solch altmodische Technik, wozu zeichnen, jetzt, im Beginn des 21. Jahrhunderts, hier, heute, wo sich doch alles mit dem Smartphone knipsen lässt? Und anknüpfend daran: Wassollte man zeichnen, welche Motive und damit Themen?

Für die Antwort muss man ein wenig ausholen. Vor allem sollte man auf das Jetzt und Hier eingehen, auf unseren gegenwärtigen Umgang mit Bildern, besser: die soziale Bilderflut, die inflationär und eigentlich monströs ist. Noch nie in der Geschichte der Menschheit gab es ein solches Quantum an Bildern, frei flottierend, allgegenwärtig, ja, aufdringlich, blindwütig, hysterisch. Eine Bekannte hattte von den diversen Sonnenaufgangen, Untergängen, fotografiert von ihrer Wohnung aus, etwa drei- bis viertausend Aufnahmen auf ihrem Computer, ein Bild glich dem anderen, sie konnte sie selbst nicht unterscheiden, wie hätte sie auch? Sie konnte sie nur noch scrollen. Dieser Vorgang des Scrollens ersetzt das Sehen.

Die Folgen auf unsere Fähigkeit, ein Bild oder eine Zeichnung zu betrachten, zu sehen, wirklich hinzusehen, liegen auf der Hand – sie verkümmert, diese Fähigkeit. Und irgendwann, fürchte ich, verkümmert auch die Bereitschaft, und irgendwann auch die Erinnerung an diese Kulturtechnik des Sehens, des Aufnehmens.

Das klingt vielleicht nach Kulturpessimismus und Litanai, ist aber, glaube ich, von Bedeutung für einen Künstler, der nicht weltabgewandt, sondern in seiner Zeit zeichnet – und seiner Arbeit mit intuitiver Sicherheit einen Wert, eine Bedeutung zumisst. Warum sollte man zeichnen, wenn es doch schon soviele Bilder gibt, wenn die Ermüdung und der Gebrauchswert des einzelnen Bildes dem Gesetz des abnehmenden Nutzenzuwachses folgt?

Gerade deswegen.

Es geht um nicht weniger als die Wiederherstellung oder sogar Rettung des Auratischen eines Bildes durch die lndividualität des Künstlers, es geht darum, das Sehen wieder freizukämpfen, oder jedenfalls den Versuch dazu. Die Mittel, die ich dazu einsetze, sind bescheiden oder auch altmodisch genug: Linien, Schraffuren, Verschattungen und Verkantungen, Lichteinfall und Glanzlichter, Geduld und Hingabe, die kleinen Feste der Selbstentzündung. Die Langsamkeit der Entstehung ist wichtig. Die Spuren, Kleckse, Verläufe, Kratzer, die darauf verweisen, dass alles handmade ist, sind wichtig. Das Ganze ist dennoch, nun ja, bescheiden. Keine Posen, kein Gefuchtel mit öden Provokationen die ja schon seit 30, 40 Jahren keine Provokationen mehr sind.

Gibt es Vorbilder, Schutzheilige für mich bei dieser Arbeit? Ja, eine ganze Reihe, um nur einen zu nennen, den ich liebe: Giorgio Morandi, der alte, knurrige Mann aus Bologna – dieser Morandi, ein entrückter Außenseiter, ist mir vorbildlich und inspirierend in seiner schöpferischen Ausdauer und der Hinwendung ans scheinbar Unwichtige, an ein paar Flaschen und Karaffen auf immer demselben Wohnzimmertisch. In seinem introvertierten Bemühen, die Malerei zu retten, während um ihn her die Stile undBehauptungen und Gegenbehauptungen sich in gnadenlosem Spektakel und Tempo ablösten. Wahrscheinlich war er kein freundlicher Mensch, aber er wußte, was er wollte, tat.

Solche Säulenheiligen gibt es eine Reihe für mich, so hat man ein wenig Gesellschaft bei dieser Arbeit, in der man doch auf sich selbst gestellt ist. Und so arbeite ich in der Hoffnung und im Bemühen, dass am Ende ein Werk steht, das aufgeladen ist, eine Zeichnung, die ihre Qualität den Rest ihrer Tage abstrahlt, die den Betrachter begrüßt, zu ihm spricht, ihn oder sie einlädt zu einer oder vielen Entdeckungen, Versenkungen. Ein paar sätze zuvor schrieb ich von den kleinen Feiern der Selbstentzündung, die der schöpferische Prozess ermöglicht. Dies gilt auch fürs Sehen – das nicht weniger schöpferisch ist, kaum weniger Konzentration und auch Liebe verlangt. Dass meine Bilder diesen Einsatz wert sind, das ist freilich meine Hoffnung.